Tag 4
Wir sitzen im einzigen Hotel in Mytelini, das offen hat, beim Frühstück. Die Journalistinnen und Journalisten, eine der österreichischen Aktivistinnen, Doro Blancke, Bischof Hermann Glettler, Menschenrechtsexperte Christoph Riedl und die Präsidentin des Forum Stadtpark, Heidrun Primas. Wir tauschen unsere Erlebnisse aus.
Sie erzählen von einem Besuch beim Bürgermeister von Mytelini, der distanziert-professionell den Besuch der Österreicher/innen abhandelt. Er schildert, wie schwierig die Lage auf der Insel ist, die große Hilfsbereitschaft der Bevölkerung, die Überforderung, der Tourismus, der darunter leidet. Sein Assistent wird im Hinterzimmer direkter: „Wenn ihr helfen wollt, dann schickt keine Zelte, sondern nehmt uns Menschen ab.“
Wir sprechen darüber, wie unsere Zeit im historischen Kontext wohl wahrgenommen werden wird. Heidrun sitzt neben mir und zeichnet wie so oft still in ihr Heft. Ich frage sie, was sie da genau macht und sie erklärt mir, dass sie Gedankenmodelle, Gespräche in assoziativen Karten festhält. Sie sucht den Dialog, die Brücken, die neuen Wege. Ich staune über ihre Ruhe. Ich möchte eigentlich laut schreien bei dem sinnlosen Leid, dem die Menschen in den Flüchtlingslagern seit Wochen, Monaten und Jahren ausgesetzt sind. Ich frage mich, wie wir einen Beitrag leisten können, um zu Lösungen zu finden, die für alle erträglich sind. Ich denke an die Gespräche mit Menschen in Österreich, die 2015 das Gefühl bekommen haben, dass der Staat die Kontrolle verliert, dass wir überrollt werden, gleichzeitig an die vielen Menschen, die geholfen haben. Die nicht lange gefragt haben, die Lösungen gefunden haben.
Ein Anruf aus Österreich erreicht mich: wieder eine Gemeinde, die sich bereit erklärt, jetzt sofort Menschen aus Lesbos aufzunehmen. „Wir sind eine kleine Gemeinde, aber zwei, drei Familien könnten wir gut unterbringen.“ „Warum“, denke ich mir, „dürfen diese Menschen nicht helfen?!“