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Pressereise mit SOS Balkanroute

Österreich und Bosnien: Gemeinsamer Kampf gegen Rechtsextremismus

Ein Bericht von Dennis Miskic

Schon am Flughafen ist die Stimmung sehr gesellig. Petra Koch, Monika Salzer, Susanne Scholl und Dörte Schnell sitzen gemeinsam am Gate und warten auf ihren Aufruf zum Boarding. Ihre runden, weißen Anstecker haben sie, wie immer, dabei. Auf ihnen steht in schwarzen Blockbuchstaben der Name ihrer Organisation: Omas gegen Rechts.

Die Gesprächsthemen zur Überbrückung der Zeit sind durchmischt. Sie werden es über die kommende Reise auch bleiben. Sie sprechen über die kommenden Wahlen, den Rechtsruck in Europa und auch über das Rauchen. Petra Hajek, eine langjährige Aktivistin bei den Omas, qualmt nämlich leidenschaftlich gerne Zigaretten.

Geplagt von politischen Krisen

Obwohl sich das Flugzeug um eine Stunde verspätet hat, ist die Stimmung der Gruppe kein bisschen gedrückt. Angekommen am Flughafen soll es nun losgehen. Auf dem Weg in die Stadt gibt das Radio ein Indiz, um was es sich bei dieser Reise in den nächsten Wochen drehen soll. Die Moderatorin berichtet mit einer ruhigen, monotonen Stimme über eine Sitzung im bosnischen Parlament. Erneut keine Einigung, sagt sie, und klingt, als wäre sie geübt darin, enttäuschende Nachrichten an ihre Hörer:innen zu bringen.

Das Land ist seit Jahren geplagt von politischen Krisen. Nach dem Krieg 1995 wurde es in zwei Entitäten geteilt: Die Republika Srpska (RS), die mehrheitlich von Serb:innen bewohnt wird, und die Föderation Bosnien-Herzegowina (FBiH), in der mehrheitlich Kroat:innen und Bosniak:innen wohnen. Als eine Art „Aufpasser“ gibt es einen Hohen Repräsentanten, der mit weitreichenden Mächten für Stabilität im Land sorgen muss.

Gut zu funktionieren, scheint es derzeit nicht. Der Präsident der RS, Milorad Dodik, macht wegen seinen separatistischen Bestrebungen regelmäßig Schlagzeilen. Sein Ziel ist es, die Entität vom Gesamtstaat abzuspalten und an Serbien anzuschließen. Es ist der nationalistische Traum eines „Großserbiens“, wie es schon Slobodan Milošević in den 90er Jahren anpries, der nun vollendet werden soll. Nur heißt das Projekt heute „serbische Welt“.

Die Verfassung macht einen Teil des Dayton-Friedensabkommens, das den Krieg beendet hat, aus. Sie hätte nur als vorübergehende Lösung dienen sollen, blieb dann aber permanent. In ihr wurden die konstituierten Völker – Kroat:innen, Serb:innen und Bosniak:innen – festgelegt. Jüd:innen, Romn*ja und Menschen, die keine ethnische Zuschreibung möchten und sich lediglich als Bürger:innen Bosnien-Herzegowinas sehen werden dadurch systematisch diskriminiert.

Im multi-ethnischen Staat dürfte ein Jude beispielsweise nicht zum Präsidenten gewählt werden. Darauf machten sogar einige Urteile des Europäischen Menschengerichtshofs aufmerksam. Trotzdem keine Veränderung. Wohl nur ein kleines Symptom für ein viel größeres Krebsgeschwür.

Čevape und die Habsburger

Von der Radiosendung bekommen die Reisenden auch unabhängig von der Sprachbarriere nichts mit. Sie sind vertieft in eine hitzige Debatte über die berühmten Cevapcici, das Attentat von Franz-Ferdinand und die Architektur der Stadt. Viele der Plattenbauten würden hier ständig an den Sozialismus erinnern.

Auch Susanne Scholl spricht viel über ihre Zeit in Moskau. Sie war langjährige ORF-Korrespondentin in Moskau. Sie kann am ehemaligen Jugoslawien, vor allem bei den Politiker:innen, viele Parallelen zu Russland damals ziehen.

Tageszentrum für Geflüchtete

In Sarajevo angekommen geht es in ein Tageszentrum für geflüchtete Menschen. Betreut wird „Intergreat“ von Sanela Klepić. Sie hilft Geflüchteten bei der Wohnungs- und Arbeitssuche und leitet ein Tageszentrum in einem Haus über der Altstadt. Auf dem Online-Portal „Airbnb“ vermietet sie Wohnung an Tourist:innen und mit diesen Einnahmen finanziert sie ihre Arbeit.

Angefangen hat Klepić im November 2019. Der Winter war schon angebrochen und Sarajevo wurde der Ankunftsort vieler Geflüchteter, die in die EU weiterreisen wollten. Sie hatte keine andere Wahl, als zu helfen, sagt sie.

Zuvor hatte sie sich mehrere Jahre in ihrem Heimatort Ključ beim Roten Kreuz engagiert und auf diese Weise Geflüchteten an der Grenze des Una-Sana-Kantons geholfen. Ihr Zuhause lag nicht weit von der Grenze. So konnte sie fast täglich Polizisten zusehen, wie sie Busse von Menschen stoppten, um weitere Durchreisen zu verhindern.

Deswegen fing sie an, etwas zu tun. Mit Spenden von Organisationen aus dem Ausland, wie der SOS Balkanroute, eröffnete sie das Tageszentrum. Heute stellen sie auch Leute ein, bringen ihnen Bosnisch bei und helfen ihnen so, sich auf die Arbeitswelt vorzubereiten. Viele entscheiden sich auch danach, in Bosnien-Herzegowina zu bleiben.

Es wird geholfen, wo geholfen werden muss. Alle, die es benötigen, können psychologische Hilfe in Anspruch nehmen oder einfach nur nach Essen und sauberer Kleidung fragen. Die Arbeit ist für Klepić erst getan, wenn die Menschen, die sie betreut, eigenständig leben können. „Mir ist es wichtig zu sehen, wie sie einen Prozess durchlaufen. Es kann ein oder zwei Jahre oder auch länger dauern. Aber erst wenn jemand in der Lage ist, eigenständig für sich zu sorgen, kann ich sagen, dass meine Arbeit beendet, ist“, erklärt sie.

Für die Gruppe der Omas gegen Rechts kochen Mahmud aus Marokko und Aram aus Jemen das Abendessen. Danach gibt es bei arabischer Musik im Hintergrund und einem Ausblick auf die Innenstadt Sarajevos noch Tee.

„Im Stich gelassen von der Welt“

Weiter geht es nach Srebrenica. Zu dem Ort, an dem der blutige Bosnienkrieg im Juli 1995 kulminierte. Die kleine Stadt lag im Osten des Landes und grenzte an die Drina, den Fluss, der Serbien und Bosnien trennte.

Für die damalige militärische Planung aus Belgrad und Banja Luka war sie genau deswegen von hoher strategischer Bedeutung. Das Ziel war es nämlich, ein „Großserbien“ zu schaffen, in dem alle Serbinnen und Serben vereint leben sollten. Andere Ethnien und Religionen wurden ethnisch gesäubert.

So auch Srebrenica. Die Stadt wurde zunächst belagert, bis der UN-Sicherheitsrat im April 1993 beschloss, sie und fünf andere Städte im Land als „Schutzzone“ zu deklarieren. Humanitäre Lieferungen wurden trotzdem noch blockiert und die Bevölkerung lebte weiter in Todesangst.

Die niederländischen Blauhelme konnten schlussendlich nichts gegen die Offensive der bosnischen Serben im Juli 1995 tun. Nachdem sie die Stadt am 11. Juli einnahmen, floh die bosniakische Bevölkerung zum UN-Stützpunkt wenige Kilometer entfernt. Dort fanden sie auch keinen Schutz. Die Blauhelme übergaben die Flüchtlinge den bosnischen Serben.

Was folgte, waren tagelange Massenexekutionen. Über 8.300 Bosniak:innen – hauptsächlich Männer und Buben – wurden an verschiedenen Orten umgebracht. Der größte Massenexekutionsort war eine Lagerhalle in Kravica, etwa 20 Kilometer von Srebrenica. Dort wurden schätzungsweise 1.300 Menschen ermordet.

Um die eigenen Spuren zu verwischen, haben die bosnischen Serben Knochen und Überreste erst Monate später in Sekundär- und Tertiärgräber versetzt. Deshalb konnten bis heute nicht alle Opfer identifiziert werden. Mehr als 1.000 werden noch gesucht.

Gemeinsamer Kampf für Gerechtigkeit

Bei dem Besuch der Omas ist es heiß. Wie auch damals im Juli, brennt die Sonne fast auf der Haut. Und der Schock, während sie durch den Friedhof und die Gedenkstätte geführt werden, steht ihnen ins Gesicht geschrieben. „Im Stich gelassen von der Welt“, kommentiert Scholl die Geschehnisse hier.

Im Stich gelassen wurden auch die Mütter von Srebrenica. Sie sind eine Gruppe von mutigen Frauen, die jeden 11. des Monats Friedensproteste organisieren, um die Öffentlichkeit an den Genozid zu erinnern. Mit Bildern oder den Namen ihrer Söhne und Ehemänner erinnern sie das ganze Land an ihren unendlichen Kampf für Gerechtigkeit. 

In dieser Weise ähneln sie auch ein wenig den Omas gegen Rechts, die sich seit September 2020 fast täglich vor das Bundeskanzleramt in Wien stellen. Mit ihrem Transparent stehen sie bei Schnee, Regen und Hitze, um auf die Einhaltung der Menschenrechte aufmerksam zu machen. „Flucht ist ein Menschenrecht“, steht auf ihrem weißen Transparent.

Nach der Reise durch Bosnien-Herzegowina, ein Ort, an dem bis heute der gleiche Hass wie schon in den 90er Jahren zu spüren ist, fühlen sie sich bestärkt, die Erfahrungen mitzutragen. „Besonders hat uns die Tatsache erschüttert, dass die Verzweiflung, die der Krieg ausgelöst hat, immer noch so präsent im Leben von Bosnien und Herzegowina ist“, sagt Monika Salzer. 

Beiträge und Stories von Alexandra Stanić auf Instagram

Caption bei einem Post vom 12. Mai 2023

Die letzten Tage waren intensiv und es wird eine Weile dauern, bis ich alle Eindrücke verarbeitet habe. Trotzdem fühle ich mich bestärkt, oder doch besser: hoffnungsvoll. Zum ersten Mal seit Monaten.

Wenn ich durch diese Reise eines gelernt habe, dann, dass es da draußen so viele Menschen gibt, die unermüdlich weiter kämpfen.

Arnel, Asim, Azra, Edina, Goga, Ljilja, Jelena, Mirko, Nihad, Sanela, Senad, Staša – die Liste ist lang. Ich fühle mich mit all diesen Menschen verbunden. Sie retten Leben. Sie kämpfen täglich gegen Rechte und für ein besseres Morgen. Das Mindeste, was ich tun kann, ist darüber zu schreiben.

Ich hatte in der Vergangenheit Momente, in denen ich aufgeben wollte; keinen Sinn dahinter sah, weiter zu kämpfen. Alle stumpfen ab. Kopf in den Sand schien in manchen Momenten „verlockender“ als zum xten Mal vor Wut und Angst wegen all dieser Ungerechtigkeit in mein Kissen zu schreien.

Aber dann rief @kidpex und wenige Tage später stand ich am Flughafen mit einer Gruppe von Menschen, die ich nicht kannte. Auf dem Heimweg ein paar Tage später nannte ich eine von ihnen, Monika, meine ganz eigene Oma. Sie stimmte zu und so habe ich zum ersten Mal eine Oma. Ich habe so viele unfassbar bemerkenswerten Menschen kennengelernt, mitunter die Helferinnen von @sos_balkanroute , die Engel von @omasgegenrechts, die Mütter von Srebrenica, die Frauen in Schwarz. Junge Journalistinnen, Künstlerinnen, Aktivistinnen – all diese Personen bewegen so viel und ich bewundere sie um ihren Mut und ihre Kraft. Ich poste ihre Geschichten in den nächsten Wochen und ihr könnt sie unterstützen – mit lieben Worten und Spenden, falls es gerade geht. In jedem Fall aber müsst ihr hinsehen. Die @omasgegenrechts sind mitgekommen, um die Verhältnisse an den EU Grenzen besser zu verstehen; um nachzuvollziehen, wie gefährlich der Rechtsruck in Ex-Yu ist. Das Mindeste, was ihr tun könnt, ist auch hinzusehen und in eurem Umfeld darauf aufmerksam zu machen. Danke an dieser Stelle an @courage.jetzt, dass sie die Reise ermöglicht haben.

Die Pressereise wurde finanziert von Courage – Mut zur Menschlichkeit.